Abwehr der schwyzerischen Offensive durch das Wädenswilerkorps

 

Einleitung

 

Quellen und Bearbeitungen. Allgemeines: Die Quellen dieser Vorgänge zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie meist in zusammenhängend erzählender Memoirenliteratur von Augenzeugen und Mitkämpfern bestehen, ohne die die Ereignisse nur unklar oder gar nicht zu rekonstruieren wären. Es hängt dies damit zusammen, dass wir hier nicht von der Generalität, wie bei der Belagerung Badens, ausführliche briefliche, aktenmässige Relationen haben, da sie sich während der Gefechte vom eigentlichen Kriegsschauplatz fernhielt. Die brieflichen Berichte enthalten meist nur ganz lose allgemeine Bemerkungen, ohne irgendwie tiefer ins einzelne zu gehen. So kommt es, dass

 

  1. Das Aktenmaterial  1) nur für untergeordnete Fakta Bedeutung hat. Nur über die Beziehungen zwischen dem Wädenswilerkorps und den beiden benachbarten Korps im Freiamt und zu Rüti gibt es wichtigere Aufschlüsse. Hauptquelle sind.

     
  2. Die Memoiren. Zu erwähnen sind hier vor allem zwei Relationen des Kommandanten der Hüttenschanze, des Majors Johann Konrad Werdmüller, der sehr temperamentvoll und subjektiv die Ereignisse darstellte, wie er sie sah und dabei mit seinem Urteil, das nicht selten zu seiner Rechtfertigung wird, die Sache beim Namen nannte; er war mehr darauf bedacht, sie darzustellen, wie sie war und nicht „materi vor die Liederträger“ zu schreiben. Besonders der umfangreichere Bericht hat grosse Bedeutung für die Darstellung der Durchbrechung der ersten zürcherischen Verteidigungslinie  2) auch Oberstleutnant Johann Kaspar Werdmüller gab, obwohl er diesen Ereignissen persönlich fern stand, eine im einzelnen hie und da ungenaue, aber durch ihr militärisches Raisonnement schätzenswerte kurze Beschreibung. Den Anteil der Kavallerie sowohl bei den Kämpfen im „Segel“, wie an der Bellen schilderte der Hauptheld des Tages, Rittmeister Johann Jakob Eschmann.  Es existierte eine Relation von ihm, die wohl nur kurze Zeit nach den Ereignissen abgefasst wurde, im Laufe der Zeit aber verloren ging. Einen Ersatz dafür besitzen wir in einem Diktat, das er ums Jahr 1740 von seinem Sohn, dem früheren Leutnants Eschmann, schreiben liess. 3) Man merkt sehr wohl, dass sich der Alte im grauen Haar der Taten seiner Jugend gerne freute; trotzdem hege ich aber an der Richtigkeit seiner Angaben im ganzen keine Zweifel, um so mehr, als ja auch von offizieller Seite die gute Führung der Reiterei hervorgehoben wurde, z.B. von Statthalter Andreas Meyer, dem Kommandanten des Wädenswilerkorps, namens seiner Kriegsräte.

    Eine weitere Relation der Kämpfe bei der Bellen und den Höfen Weberrüti  4) schildert die im Titel erwähnten Ereignisse in erwünschter Ausführlichkeit. Der Verfasser ist mir unbekannt, sicher aber kann es, wie aus der Arbeit selbst hervorgeht, nur ein Mitkämpfer gewesen sein. In der Beschreibung des Toggenburgerkrieges von Johann Heinrich Fäsi, Diakon am Grossmünster und 1712 Feldprediger im Rütikorps, findet sich auch eine Relation der Kämpfe im Wädenswilerkorps inseriert, die besonders den Angriff auf die Bellenschanze behandelt und sehr wohl den Major Salomon Hirzel zum Verfasser haben kann. Hirzel befand sich damals im Wädenswilerkorps, und half, wie der Etat, der nach dem Einbruch aufgenommen wurde, zeigt, speziell auch die Bellenschanze verteidigen. Diese Beschreibung Fäsis existierte, wie Dürsteler, ohne sich zu entscheiden, bemerkt, auch unter Hirzels Namen. Trifft diese Vermutung zu, so hätten wir auch in dieser Relation die Beschreibung eines Augenzeugen und Mitkämpfers vor uns. 5)

 

  1. Bildliche Darstellungen, Karten, Pläne: Alles dies ist in vorzüglicher Weise vereinigt in einem prächtigen kartographischen Werk, das Ingenieur A. Ridiger , der gleiche, der auch einen Plan der Belagerung Badens und anderer Operationen zeichnete, ausgeführt hat. Er orientiert nicht nur über die Operationen, sondern stellt auch, teils im Grundriss, teils in einem Prospekt der Gefechte an der Bellen, die Anlage der Zürcherischen Verschanzungen dar. 6)

 

  1. Neuere Bearbeitungen besitzen wir drei. Die erste und älteste ist die des Oberstleutnants  David Nüscheler in seiner Geschichte der zürcherischen Artillerie. Auch dieses spezielle Kapitel hat, wie das ganze Werk, den Nachteil der Unübersichtlichkeit, betont unwichtige Züge zu sehr und leidet an grosser Kritiklosigkeit. Die beste Bearbeitung lieferte der Schwyzer Kanzleidirektor Martin Ochsner ,  7) der aus den Archiven der Kantone Schwyz und Zug neues Material und für die Beurteilung des schwyzerischen Anteils neue Gesichtspunkte beibrachte. Auf diesen beiden Arbeiten fusst die Bearbeitung  Staubers , 8) wenn er auch nicht tiefer in die Quellen eingedrungen, bringt er doch im einzelnen schätzenswerte Details, z.B. über die Person des Rittmeisters Eschmann.

 

  1. An kartographischem Material ist zu benützen: Siegfriedatlas, BI. 242

 

 

Fussnoten:

1)     St. A.Z. Hauptsächlich in A. 236, 13.

 

2)     Der grössere Bericht (zitiert Major Werdmüller, I) ist betitelt: „Grundtliche Beschreibung des Jenigen, so im Vergangnen Krieg Mir durch die Hand gegangen, samt etlichen Anmerkungen, nicht etwan auss Praesumption und Hochmuth  Sonder Zur nachricht dienend aufgezeichnet Von Mayor Conradt Werdmüller, Burger Lobl. Stadt Zürich. Im Jahr Christi 1712“ (Dürst., Bd. VII, p. 53l – 575.)  Der zweite Bericht (Major Werdmüller, II) findet sich bei Dürst. VII, p. 579 – 582.

 

3)     „Herren Rittmeisters Johann Jacob Aeschmanns, Landschreibers der Herrschaft Wädenschwyl, substanzliche wahrhaffte Relation des feindlichen Einfalls, vorgefallenen Treffens, und anderer Kriegerischen Hergangenheiten, in der Herrschaft Wädenschweil. Anno 1712“ (Dürst. VII, p. 587 ff.) Zitiert: Eschmann.

 

4)     „Umständtliche Relation von dem feindtlichen Einfall der Schweizern und Zugern auf der Bällen, unter- und ober-Waber-Rüthi.....in der Herrschaft Wädeschwyl, den 22. julij 1712“.  Zitiert: „Umständtliche Relation.....“ (Dürst. XII, BL. 345 f.).

 

5)     „Joh. Heinrich Fäsis, Diaconi zum grossen Münster Zürich und FeldPredigers bei dem Corps zu Rüthi….Beschreibung des Toggenburger-Kriegs…”. Zitiert: Fäsi-Hirzel. (Dürst. XII, BL 176 – 194.) – Die „poetischen“ Bearbeitungen können, so genau sie sind, nicht als Geschichtsquellen in Betracht fallen, da z.B. die Dürstelers lediglich Verifikationen der Eschmannschen Relation sind.

 

6)     „Grund-Riss und RELATION des Einfahls derer von Schweitz in das Zürich-Gebieth/bei Hütten/im Wetthenschweiler Quartier/sam des Angriffs auf der Bellen,/ geschehen den 22. Julij 1712.“ (St.B.Z., III, 1712. Hütten.)

 

7)     „Die militärische Besetzung der Landschaften, Höfe und March zur Zeit des Toggenburger Krieges“ in den Mitteilungen des Historischen Vereins des Kantons Schwyz, XIII, 1903, p. 67 etc.

 

8)     „Die zürcherischen Schanzen an der schwyzerischen Grenze“. Wädenswil, Baumann, 1905.

 

 

 

 

Schilderung

 

Der kleine Erfolg der katholischen Orte bei Sins, ihr erster und einziger, hatte auch an der Schwyzergrenze die Kampflust neu geweckt. An den Orten, die schon das Waffengeklirr des Alten Zürichkrieges gehört, die 1656 schon die Erbitterung  des dritten eidgenössischen Religionskrieges gespürt, setzten die Schwyzer mit einer von ähnlichem Fanatismus getragenen Offensive ein, wie kurz vorher ihre Verbündeten bei Sins.

 

Und zwar noch ehe das Wädenswiler Korps seinerseits die Offensive ergriff. Auch es hatte zwar, als sich die Friedensverhandlungen zerschlugen, den Befehl erhalten, sich zum Angriff vorzubereiten, speziell durch Diversionen gegen Menzingen und Aegeri hin, die vorgesehenen Operationen des Freiamtkorps auf Zugerboden zu unterstützen. Als sich die Feinde um den 19. Juli immer mehr verstärkten, als kleine Plänkeleien einsetzten, trat man im Schloss zu Wädenswil zum Kriegsrat zusammen, um über die Ergreifung der Offensive gegen Schwyz zu beraten. Aber der Meinungen waren fast so viele wie Köpfe: einer hielt die verfügbare Truppenzahl für zu schwach zur Offensive, andere stritten sich über den Ort des Einfalls, so dass man auch hier vom weisen Raten nicht zu raschen Taten kam. Die Generalität entschuldigte sich – einen Grund musste sie doch angeben – mit der numerischen Schwäche ihrer Truppenzahl und richtete sich wenigstens nach Kräften zur Verteidigung ihrer Postierungen ein. Im Ganzen verfügte sie, obwohl auch hier die Entlassenen sich nur unvollzählig wieder zu den Fahnen einfanden, über 24 Kompagnien mit etwa 4000 Mann Infanterie samt zwei Reiterkompagnien und die Mannschaft auf der Flottille. Aus 16 Geschützen, einer Anzahl Falkonette und Doppelhaken bestand die artilleristische Ausstattung des Korps.10)

 

Jedenfalls war die Generalität zu Wädenswil eher befähigt, einem andringenden Feind Widerstand entgegenzusetzen, als das Freiamtkorps. Nach menschlichem Ermessen konnte es im Notfall vom Freiamtkorps zu Land, aus dem Rütikorps und der Stadt leicht auf dem Seeweg durch Hülfstruppen unterstützt werden und zudem die Flottille zu Diversionszwecken benutzen, während das Freiamtkorps allerdings über die doppelte Truppenzahl verfügte und einen nicht so exponierten, wenn auch viel ausgedehnteren Grenzbezirk zu verteidigen hatte und auf prompte Hilfe nur von Wädenswil aus rechnen durfte, für seine Verbindung mit der Stadt aber auf die beschwerlichen Albisübergänge angewiesen war.11) Allerdings war die Wädenswiler Grenze – die weit ins feindliche Gebiet vorsprang – recht einladend für einen Angriff, dafür aber war sie durch eine Anzahl Schanzwerke gegen das gefährliche Schwyz bewehrt. Diese Befestigungen gehen in ihren Anfängen vornehmlich in die bewegte Zeit des Ersten Villmergerkrieges zurück; ihre Ueberreste sind noch heute deutlich erkennbar. In der Zeit zwischen den beiden letzten Religionskriegen der alten Eidgenossenschaft zerfielen sie zwar, erlangten aber 1712 wieder vitale Bedeutung und wurden für die Verteidigung der Grenze neu in stand gestellt, einzelnes neu angelegt.

 

Dicht an den Marken lagen, auf mässigen Erhöhungen, in fast gerader Linie, die Sternen-, die Eich- und die Bellenschanze. Die erste bildete eine gevierte Redoute, die letzte war in  „Form einer länglichen, hinten geschlossenen Lünette“ zu einer fünfseitigen länglichen Erdbefestigung ausgebaut, mit Brustwehr, Pfahlwerk und Graben geschützt. Das zwischen diesen Schanzen liegende Eichschänzlein stand beiden an Grösse und Wichtigkeit nach. Diese drei Werke lagen der schwyzerischen Itlemoosschanze, einem mit Geschütz bewehrten Scheerwerke, gegenüber; die vierte zürcherische Schanze lag mehr abseits und zurück: die Hüttenschanze, die ihr Kommandant, Major Johann Konrad Werdmüller, schon kurz nach Beginn des Krieges anzulegen begonnen und nach und nach kunstgerecht zu einer geschlossenen quadratischen Befestigung ausgebaut hatte; sie schloss die zürcherische Verteidigungslinie rechts nach der Sihl hin ab und beherrschte den hier wichtigsten Uebergang, die Hüttenbrücke, wie auch die wichtige, von der Sihl am Dörflein Hütten vorbei in die Höfe führende Strasse. Stützpunkte einer zweiten, schwächeren Verteidigungslinie bildeten links das Schloss Wädenswil, rechts Schönenberg, mit seinem befestigten Kirchhof, neben anderen minder befestigten Stellungen, wie der noch heute sogenannten „Wolfbühlschanz“.12)

 

An diesen festen, durch 16 grössere und eine Anzahl kleinere Geschütze armierten Stellungen scheiterte jetzt, 1712 , der Ansturm katholischer Haufen eben so entscheidend, wie er 1656 gelungen war. Schon in den Tagen vorher kündete sich der Sturm an. Am 21. Juli wurde von den schwyzerischen Scharen ein grosses, in Kupfer gestochenes Marienbild zur Verrichtung frommer Andacht auf den Rossberg gebracht und dort an einen Baum gehängt; im Itlemoos, dem Hauptquartier der schwyzerischen Grenzpostierungen, wurde ein ähnliches aufgestellt. Die schwyzerischen Milizen, kampfbrünstig vor hartem Hunger, aus religiösem Fanatismus, drängten zum Angriff. Ob ihnen der 22. Juli, der heilige Festtag der Maria Magdalena, den ersehnten Sieg bringen würde? Sie hofften, die zürcherischen Stellungen zu durchbrechen und sich mit 150 Menzingern,  die es auf sich genommen hatten, den Finsterseesteg zu forcieren, auf Zürcherboden zu vereinigen. Schon in der Nacht vom 21. zum 22. Juli bemerkten die Verteidiger der zürcherischen Postierungen die Massierung feindlicher Haufen, noch vor Mitternacht hörten sie aus den schwyzerischen Stellungen die Hunde bellen und starken Lärm, Lichter „vagierten“ hin und her, dann wurde es stiller – in frommer Einfalt sangen die Feinde ihre Litanei. 

 

Dann,  am Frühmorgen  des 22. Juli, um 3 Uhr, kaum dass die Zürcher Tagwacht geschlagen hatten, donnerte auf Itlemoos ein Kanonenschuss, flammten auf Rossberg und Hoher Rone die Feuer auf, die den Angriff ins Zugerland hinein signalisierten. Während ein Trupp um die Itlemoosschanze lagerte und die gegenüberliegenden zürcherischen Stellungen beobachtete, stürmten gegen 2000 Schwyzer von Hinter-Vogelnest her in zwei Kolonnen zu beiden Seiten des Albis 13) an die zürcherische Grenze, ohne Trommelschlag zwar, aber mit grossem Geschrei. Am „Bergli“, beim Eingang ins feindliche Gebiet, trafen sich die beiden Kolonnen, jagten die zürcherischen Wachtposten zurück und liessen an den Zurück-gebliebenen, wehrlosen Weibern, Kindern und betagten Leuten ihre Wut aus.14)

 

Wieder in zwei Kolonnen stürmten sie vorwärts: ein erster Angriff galt der Hüttenschanze. Ihr Kommandant und Erbauer, Major Johann Konrad Werdmüller, signalisierte den umliegenden Posten die Gefahr durch einen Kanonenschuss, zündete ein Alarmfeuer an, pflanzte die Fahnen auf und erwartete den Ansturm der Schwyzer mit seinen 250 Mann und zwei Geschützen.15) Der Morgen war schon angebrochen, als er die Feinde in zwei Kolonnen vor der Schanze stehen sah, eine auf der Höhe mit zwei, eine untere, stärkere, mit vier Fahnen. Als sie vorrückten, beschoss er beide, die in der Niederung, wie die obere, dem Berg nach vorrückende mit Kartätschen („Hagel“), bis sich diese letztere, unter Zurücklassung einer Reserve zur Beobachtung einer Hüttenschanze, mit der unteren vereinigte und mit ihr gemeinsam gegen das Dörflein Hütten vorzurücken begann. Durch das scharfe Feuer aus der Schanze wurde sie aber an ihren Plünderungsabsichten verhindert, schwenkte, und drang unter beständigem Feuer Werdmüllers nach dem Wäldchen beim Rebgarten und bis in die Gegend des „Segels“ vor; einer starken Abteilung gelang sogar der Durchbruch bis Knäus.16)

 

Die Situation war äusserst ernst; „die Sonne stand schon ziemlich hoch, der Feind im Land, der Pass im Segel (nach Schönenberg)  in seiner Gewalt.“ Sollten jetzt nicht endlich auch auf der andern Seite die 150 Menzinger anrücken? Schon einige Zeit hatten die Schwyzer diese erwartet, aber ihre Hoffnungen erfüllten sich nicht. Auf katholischer Seite klappten die Operationen ebenso wenig wie auf evangelischer; die Menzinger gaben sich den schwachen Schein von Hülfeleistung und zeigten sich in der Ferne, wirkliche Hülfe aber leisteten sie keine.17)

 

Inzwischen hatten einige beherzte zürcherische Offiziere einige Häuflein ihrer Truppen – das Schiessen hatte das ganze Korps alarmiert – gesammelt. Rittmeister Eschmann, der Landschreiber von Wädenswil, der in Aesch sein Standquartier hatte, raffte  in der Eile 24 seiner blauen Reiter zusammen und führte sie über Schönenberg gegen den Feind. Es gelang ihm durch eine List eine Anzahl Feinde, die schon gegen Schönenberg vordrangen, zum Rückzug zu veranlassen. Zwei Reiter mussten ihre Hüte schwenken und eine fingierte nachkommende Schar zu Hülfe rufen, worauf die vorgedrungenen Feinde schleunigst zum Hauptkorps im Segel zurück eilten. Eschmann setzte ihnen nach und stiess dabei auf Major Mattli, einen Bündner in zürcherischem Dienst, der mit 100 Mann Fussvolk über den Laubeggrain am Hüttenseelein herbeigeeilt war. Beide liessen sich in der Nähe des Segels mit dem höher und besser postierten Feind in ein hitziges und heftiges Gefecht ein, das schon zu Ungunsten der Zürcher schwankte; Mattli wurde am Arm verwundet, einige Pferde fielen. Und schon kamen die bis Knäus vorgedrungenen Schwyzer ihren kämpfenden Kameraden zu Hilfe.18) – Aber zu gleicher Zeit stiess der auf dem „Esel“ postierte Rittmeister Meyer und Eschmann, der Sohn des Rittmeisters, zu den wankenden Zürchern. Unter Trompetengeschmetter wurde der Feind von neuem angegriffen: dem vereinten Anstoss hielt er nicht stand. Den gleichen Weg, auf dem er in der Morgenfrühe eingebrochen war, zog er zurück, nicht ohne dass ihm Major Werdmüller von seiner Schanze aus noch einige Kanonenschüsse auf den Rückzug mitgegeben hätte. 

 

Inzwischen war der helle heisse Tag des 22. Juli vollständig angebrochen. Wenn auch einmal zurückgeschlagen, vom Zugerland her im Stich gelassen, waren doch die schwyzerischen Kompagnien noch nicht entmutigt und suchten ihr blutiges Tagewerk doch mit einem Erfolg zu endigen.

 

Schon am frühen Morgen hatten die Schwyzer auch von der Itlemoosschanze her den Angriff begonnen und sich mit der Sternenschanze in eine solche Kanonade eingelassen, dass man die Schüsse in Zürich hören und zählen konnte. Auch in die Höfe Weberrüti waren schwyzerische Abteilungen eingedrungen, wobei der zürcherische Major Kilchsperger den Tod gefunden.

 

Es war den Schwyzern sogar gelungen, ihre Geschütze auf zürcherischem Boden aufzuführen und sowohl von Süden,  der „Blegi“ her, zwei Falkonette in Aktion zu setzen, wie von Norden her die Bellenschanze zu kanonieren.

 

Aber inmitten dieser Scharmützel kamen vom „Segel“ her die am Morgen ins Land eingebrochenen Feinde über die „Blegi“ unterhalb des „Bergli“ zurück. Als sie sahen, wie wohl der Angriff auf die Bellen von ihren Landsleuten vorbereitet worden war, schritten sie, vereint mit diesen, rasch zum Sturm auf die Schanze „in grossem Geschrei und Wüten wie die Schweine“.

 

Die Schanze wurde tapfer verteidigt, obwohl von den sechs Kompagnien, wie drei Tage vorher festgestellt worden war, nur knapp 700 Füsiliere dienstfähig waren. Einmal, zweimal, dreimal und von drei verschiedenen Seiten her setzten die Feinde zum Sturm an, schon mussten die Zürcher ihre Posten vor der Schanze verlassen; Major Escher, vom Feind zurückgedrängt, postierte sich auf einer mässigen Anhöhe rechts der Schanze. Kaum vermochten die in der Befestigung, trotz ihres doppelten Feuers von Graben und Brustwehr aus, sich des Angriffs zu erwehren.19)  Denn die Schwyzer  hatten „den dritten Anlauf auf die Schanze und zwar mit solcher Desperation und Heftigkeit getan, dass sie eher einer Schar rasender Hunde und tobender Bestien, als vernünftigen  Kriegsleuten gleich gewesen.“

 

Schon griffen sie zum vierten Mal an. Da, im wichtigsten Augenblick setzte wieder, wie bei den Kämpfen im Segel, ein Kavallerieangriff entscheidend ein. Die Rittmeister Eschmann und Meyer sprengten mit ihren Reitern unter Trompetengeschmetter über den Laubeggrain heran, worauf die Schwyzer mittags um 11 Uhr, schwach verfolgt, über die Grenzen flüchteten. Auch die Reserve, die seit dem frühen Morgen zur Beobachtung der Hüttenschanze während und bis ans Ende aller Operationen stehen geblieben war, zog sich auf ihrem heimischen Boden zurück.. 

 

Der Angriff der Schwyzer war in achtstündiger Abwehr zurückgeschlagen worden. Wenn man auch neue Anstrengungen der Feinde fürchtete, da und dort auf den Grenzen wieder Truppenbewegungen wahrzunehmen meinte: die blutige Lehre, die der schwyzerische Kriegseifer am heiligen Maria Magdalenatag erhalten, war zu abschreckend für einen neuen Angriff.

 

Hüben wie drüben waren die Verluste im Vergleich zu den hartnäckigen Scharmützeln nicht gross. Elf Tote und ungefähr fünfzig Verwundete zählten die Zürcher; grösser war die Zahl der gefallenen Angreifer: ihrer 29 lagen tot an der Bellen; den feindlichen Verlust bei Schönenberg, Hütten und dem Bergli schätzten die Sieger mit etwa fünfzig Mann wohl zu hoch.20)

 

Den Erfolg zwar hatten die Zürcher für sich, die hohen kommandierenden Herren aber nicht das geringste Verdienst. Sie, die „nicht unterlassen“ konnten, mitzuteilen, wie beide Reiterkompagnien mit ihren tapferen Kommandanten nicht nur ihr Bestes getan, sondern das Meiste zur Zuückwerfung des Feindes geleistet, sie waren während der Gefechte so wenig als die Geistlichen aus den sicheren Stuben des Schlosses Wädenswil auf den  Kriegsschauplatz gekommen und zeigten nicht den jugendlichen Mut, wie ihn auch Zürcher Bürger neidlos am greisen Venner Frisching in der Schlacht bei Villmergen bewunderten. Böse Worte gingen in der Stadt über den kommandierenden Statthalter Meyer, Sprüche, nicht zu seinem Ruhm, sollen auf dem Helmhaus angeschlagen worden sein:

 

„Die Schale der Vernunft sein weises Haubt bedekte, Die Plute samt dem gurt den Feinden Forcht erweckte, Es sahen trozig auss die Knöpf an seinem Haar, Schad! Dass er bey dem Danz nicht selbst zugegen war.“21)

 

Auch die benachbarten Korps vergassen ihre Pflicht und besannen sich zu spät auf die Hülfeleistung.

 

Im Freiamtkorps hatte man auf den Bericht und die Rauchsignale, die Major Lochmann auf Hirzelhöhe gab, an den Grenzen gegen die Herrschaft Wädenswil, bei Ebertswil, Hirzwangen und Umgegend einige Kompagnien massiert und Lochmann zwei davon überlassen. Am folgenden Tag aber wurden sie wieder zurückverlangt, ohne dass sie mitgekämpft hätten. Der Sukkurs sei,  „wie gemeinlich zu geschehen pflegt“, zu spät, schrieb J. C. Escher in Kappel darüber vertraulich an Sekretär Hottinger in Maschwanden. Auch der wackere Major Lochmann setzte sein Vertrauen nicht auf befreundete Hilfe, „weilen genugsam in Erfahrung, dass dieser Sukkurs zu spät käme“ und versprach sich mehr von einer Diversion, falls er angegriffen würde. 22)

 

Das Rütikorps beorderte zwar zwei Kompagnien, zusammen 300 Mann Hilfstruppen, über den See; die einzige aber, die wirklich hinüberfuhr, fand bei ihrer Ankunft den schon errungenen Sieg vor. Es ist hier wieder einmal der gefürchtete Advokat mit seiner giftigen Feder und spitzen Zunge, der dem Ruhm der Kriegsräte von Rüti wegen ihrer Langsamkeit ein böses Kränzlein windet. Da zu dieser Zeit auch schon die Operationen gegen Uznach und Gaster vorbereitet wurden, hielt sich auch Nabholz, der mit den Toggenburgern dabei mitzuwirken hatte, gerade in Rüti auf. Er und die Kriegsräte waren am frühen Morgen des 22. Juli auf das Schiessen jenseits des Sees aufmerksam geworden. Aber tatenlos seien diese in der Stube spaziert. Darf man ihm glauben, dass er in Feldbach die Offiziere „in weissen Kamisolen und Schlafhauben“ ruhig beim Morgenessen traf, dass auf dem Schwesterrain Offiziere und Soldaten auf den geruhigen Bäuchen lagen und zusahen, wie jenseits des Sees Rauchwolken von Musketen und Geschützfeuer aufstiegen? Mit allen Mitteln drängte er zur Hülfeleistung und sicher musste er seine ganze Rücksichtslosigkeit gegen die Perücken und Puderköpfe aufbieten, um sie zur Absendung von Hülfstruppen zu veranlassen. Ohne dass man in Wädenswil darum gebeten, schrieben die hohen Offiziere aus Rüti, sich wohl eher entschuldigend als rühmend, nach Zürich.

 

Auch aus der Hauptstadt wurden vier Kompagnien Verstärkung abgeschickt, trafen aber erst am folgenden Tag ein. Prompter hatte die Flottille ihre Aufgabe erfüllt, indem sie während der Gefechte bei Bäch demonstrierte und das dortige Faktoreihaus beschoss.

 

Wie bei keinem zweiten Ereignis des Krieges liegen hier für Zürich Fehler, Glück und Erfolg so nahe beisammen; wie bei keinem zweiten Ereignis lasten jene vor allem auf der Oberleitung, sind diese vor allem den Unterführern zu verdanken. Aber bot sich nicht durch Ergreifen der schon so lang und viel gewünschten, durch den Angriff der Feinde jetzt fast erzwungenen Offensive, Gelegenheit zu weiteren Erfolgen?! Gewiss, wenn die Tatkraft nicht fehlte!

 

 

Fussnoten:

 

10) St. A. Z. A. 236, 15. “Verzeichnuss Der Artillerey….12. April. – A. 236, 20. „Verzeichnus  deren in dem Wädenschweiler-Corps sich befindenden Trouppen...“ Undatiert. – Dieser Etat ist zwar erst nach dem Einfall aufgestellt worden, bezieht sich aber auf die Stärke vor dem 22. Juli. Soweit er sich im einzelnen kontrollieren lässt, sind seine Angaben richtig. – Major Werdmüller, I. 561, geht zweifellos mit seiner Angabe von nur 17 – 1800 Mann viel zu tief. – Die Dislokationsübersicht, die Nüscheler, p. 235 vom 26. April gibt, ist selbstverständlich für diese Ereignisse wertlos, da die vielen Truppenverschiebungen in dem dazwischen liegenden Vierteljahr das Stärkeverhältnis des Wädenswilerkorps mehrmals änderten.

 

11) St. A. Z. A. 236, 20. “Vorteilhafftige Situation des Wädenschweiler Corps”. – „Gefährliche Situation des Knonauer Corps“. – Diese beiden kurzen Memoriala stammen aus dem Freiamkorps und sind, trotzdem eine Tendenz zu dessen Gunsten unverkennbar ist, doch für die Beurteilung der Situation vom damaligen Gesichtspunkt aus interessant.

 

12)   Vgl. vor allem den in der Quellenübersicht erwähnten Plan und Prospekt des Ingenieurs Ridiger. – Dazu: Oberstleutnant Nüscheler, p. 234 und Stauber, der einen Situationsplan und eine Abbildung der Bellenschanze als Beilagen bringt. – Auch Bl. 242 des Siegfriedatlas verzeichnet die genannten Schanzen.

 

13)   D.h. des „Applisberges“, nicht zu verwechseln mit dem bekannteren Albis längs des Unterlaufes der Sihl.

 

14)   St. A. Z. A. 236, 13. “Aussag einer Frauwen, so ab dem Bergli bei Hütten, bey dem den 22ten julij, findtlichen einfahl, entfliehen könen…” – Major Werdmüller, I, p. 564 – Die Zahlenangaben über die Stärke der einfallenden Schwyzer variieren: Oberstleutnant Werdmüller, „Fehrnerer Verlauff...“, p. 3,zählt 1500, Eschmann, p.590, erwähnt, die Truppen bei Weberrüti einbegriffen, 2500 mann, die „Umständtliche Relation...“, p. 345 a, schätzt die Angreifer beim Bergli allein auf 26oo Mann. – von neueren Bearbeitern veranschlagen die Angriffskolonie: Ochsner, p. 124, auf 18oo, Nüscheler, p. 238, auf 2000 – 2500 Mann. – Die Annahme von 2000 Mann wird wohl die zutreffendste sein.

 

15)   Major Werdmüller, I, 564 f., II, 580. – Für die Anzahl seiner Mannschaft vgl. auch St. A. Z. A.236, 20. „Verzeichnus deren in dem Wädenschweiler-Corps sich befindenden Trouppen....“ Undatiert.

 

16)   Major Werdmüller, I, p. 565ff., II, 580 f. – „Umständliche Relation...“, p. 345a, b. – Die Militärs fragen und streiten sich darüber, weshalb der Durchbruch möglich war. Oberstleutnant Werdmüller,  „Fehrnerer Verlauff....“, p. 3, weist auf einen Fehler in der Anlage der Feldschanzen hin, indem die Hüttenschanze statt auf dem vorteilhafteren Bergli von Major Werdmüller in offenes Land einen guten Kilometer rückwärts der Grenze, angelegt wurde, wohl zur wirksameren Verteidigung Hüttens und der Hüttenbrücke. Major Werdmüller, a.a. O., weist auf den Mangel der Nichtbesetzung der „Blegi“ beim Bergli hin. – Einer der neueren Darsteller, Oberstleutnant David Nüscheler, p. 240, Anm. 106, deutet an, dass „eine aus einzelnen abgesonderten Werken bestehende verschanzte Linie nur dann mit Vortheil verteidigt werden kann, wenn hinter derselben eine hinreichende Reserve aufgestellt ist, welche das Durchbrechen des Feindes durch die freyen Zwischenräume verhindern, oder, wenn er dennoch hindurchgedrungen, solchen wieder zurückwerfen kann.“ Es ist aber doch immerhin mit Oberstleutnant Werdmüller zu bemerken, dass für den Fall, wie er eintrat, eine Befestigung des Bergli eine wirksamere Abwehr erlaubt hätte, als die weit von der nächsten, der Bellenschanze entfernte, im offenen Land errichtete Hüttenschanze.

 

17)   Ochsner, p. 125, besonders die in den Anmerkungen 1 und 2 angeführten Schreiben. – Später, in den Kapitulationsverhandlungen (vgl. p. 196 f.) entschuldigten sich die Zuger gegenüber dem Vorwurf, als ob sie an diesen Kämpfen teilgenommen hätten, mit dem Hinweis auf die ablehnende Antwort, die sie den Schwyzern auf ihr Hülfegesuch gegeben und versprachen, die ohne den Willen des Kriegsrates – allerdings nutzlos – ausgezogenen Menzinger, resp. deren Führer, zu bestrafen. (St. A. Z  A. 236, 13. Ziegler aus Maschwanden, 27. Juli)

18)   Eschmann, p. 594, verwechselt diese bis Knäus vorgedrungenen Schwyzer offenbar mit Zugern, von denen er sagt, dass sie sich mit den Schwyzern vereinigt hätten.

 

19)   Tapfer focht dabei ein Veteran aus den Zeiten des ersten Villmergerkrieges mit: Hptm. Keller von Ohringen, der schon als Jüngling am gleichen Orte 1656 mitgefochten hatte.

 

20)   St. A. Z. A. 236, 13. Meyer aus Wädenswil, 22. Juli. – David Ott aus Wädenswil, 22. Juli. – „Verzeichnus deren in dem Wädenschweiler-Corps sich befindenden Trouppen, wie auch der Krankenen, und bey dem Feindtlichen Einfahl todtgeschossener und blessierter.“ Undatiert. – A. 236, 20. Hier sind 18 Tote aufgeführt, wohl mit Hinzurechnung solcher, die nachträglich ihren Verletzungen erlagen. – Ochsner, p. 127.

 

21)   St. B. Z. Dürsteler, VIII, p. 770: „Quatrains Satyriques, welche auf dem Helmhauss mit grossen Buchstaben angeplakt seyn sollen.“ – Mscr. H. 275. „Hrn Landschr. Caspar G’werbs Briefe an Hr. Landv. Heinrich Füssli zu Regensperg, 1712“, p. 350: Bericht über die Schlacht bei Villmergen, wo Venner Frisching immer im Feuer gestanden, „dahingegen unsere Generalität und Geistliche zu Wädenschwyl in aller Action nie auss der Stuben kommen.“ – Woher Nüscheler, p. 240, unten, weiss, dass die Generalität – während des Kampfes – auf den Kriegsschauplatz geritten, ist mir nicht bekannt, denn es geht nicht an, auf die Abwesenheit der Generalität aus Wädenswil zu schliessen, weil Sekretär Ott allein um Hülfe nach Zürich schrieb.

 

22)   St. A. Z. A. 236, 13. Schreiben aus Maschwanden an die Gesandten zu Aarau. (Konzept.) – Einige Schreiben Landolts aus Maschwanden. – Escher aus Kappel an die Sekretäre Hottinger, Ziegler in Maschwanden, an Major Lochmann auf dem Hirzel. – Lochmann nach Wädenswil, Kappel. Sämtliche vom 22., 23. Juli..