Versuch einer Geschichte Hüttens

Aus einem Jahresheft der Vereinigung pro Sihltal Heft Nr. 17

 

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Die Leute von Hütten, etwa 200 an der Zahl, hatten es gar nicht leicht, ihren Glaubenpflichten nachzukommen. Bei jedem Wetter, oft durch tiefen Schnee, mussten sie, auch mit ihren Täuflingen, Brautpaaren und Toten, den zweistündigen Weg vom Berg hinunter nach Richterswil zurücklegen. Die Kirche war damals noch ungeheizt, so dass die Kirchgänger vom Berg oft nass und frierend das Ende des Gottesdienstes herbeisehnten, um sich auf den Rückweg machen zu können. War der Gottesdienst am Nachmittag, kehrte man im Winter oft erst in der Dunkelheit zurück.

 

So baten die Hüttener immer wieder um ein eigenes Gotteshaus und spendeten zum Teil bedeutende Werte an Gülten und Geld für ein solches. 1490 konnte so am Platze der heutigen Kirche eine Kapelle mit drei Altären erstellt werden. 1496 wurde sie nach Beschluss des Bischofs von Konstanz am Sonntag vor St. Margaretha dem Heiligen Joseph geweiht. Von jenem Tag an wird in Hütten Kirchweih gefeiert. Ein Kaplan der Pfarrkirche St. Urban zu Richterswil versah den Gottesdienst in Hütten und unterweis die Kinder im Glauben. Die Peststerben und Hungersnöte, die immer wieder das Land heimsuchten, werden sich auch auf dem Richterswilerberg bemerkbar gemacht haben.

 

Nachdem schon der Leutpriester von Wädenswil zum neuen Glauben übergetreten war, beschloss im Jahre 1529 die Gemeindeversammlung einhellig, die Reformation einzuführen. Dem Befehl des Rates, die Altäre abzubrechen, kam man nur teilweise nach, indem die Altäre verhüllt wurden. Die Altäre in Hütten wurden erst 1604 abgebrochen.

 

Der Herrschaft Wädenswil kam angesichts des bevorstehenden Glaubenskampfes eine besondere Bedeutung als Grenzwache gegen Schwyz und Zug zu. Währen des zweiten Kappelerkrieges blieb Wädenswil trotz Übergriffen der Katholischen neutral.

 

1549 verkaufte der Johanniter-Orden, der ständigen Reibereien mit den Untertanen müde und zudem in finanziell bedrängter Lage, seine gerichtlichen Befugnisse und seinen Besitz (Territorium) für 20'000 Gulden – die bar ausbezahlt wurden und einige Fuhrwerke füllten – an die Stadt Zürich. Damit wurde die Herrschaft Wädenswil zur Landvogtei. Mit der Herrschaft ging auch die mächtige Burg in den Besitz der Zwinglistadt über. Schwyz fühlte sich dadurch bedroht und erhob bei der Tagsatzung Einspruch gegen den Kauf der Herrschaft. Dieser wurde indessen genehmigt, den Zürchern aber auferlegt, innert drei Jahren die Burg zu schleifen, womit sich die Zürcher aber Zeit liessen. Erst 1557 zerstörte ein auswärtiger Unternehmer die Burg.

 

Am 18. Oktober 1550 trat der erste zürcherische Landvogt, Bernhard von Cham, sein Amt an. Sechs Jahre darauf wurde das neuerbaute Landvogteischloss auf dem „Bürgli“ bezogen und bald darauf eine glanzvolle Hochzeit gefeiert, zu der Hunderte von Gästen aus allen Seedörfern erschienen. Keiner unter den fröhlichen Teilnehmern ahnte wohl, dass nur neuen Jahre später ein grosses Sterben (Pest) einsetzen würde, dem allein in der Pfarrei Wädenswil 600 Seelen zum Opfer fallen sollten.

 

Aus dem 16. Jahrhundert haben wir über Hütten sozusagen keine Nachrichten. Die Quellen fliessen erst für das 17. und 18. Jahrhundert etwas reicher. In Zürich fasste in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Seiden- und Wollindustrie Fuss. Von der Stadt ausgehend breitete sich die Heimarbeit langsam auf Land aus.

 

Wie im 16. Jahrhundert weist zu Beginn des 17. Jahrhunderts die Herrschaft Wädenswil rein landwirtschaftliche Züge auf. In Hütten wird Viehzucht betreiben. Das Vieh wird im Spätherbst abgestossen, da man die Stallfütterung nicht kennt. Neben Einheimischen traten Zürcher Metzger und italienische Viehhändler als Käufer auf. Die Milchwirtschaft beschränkte sich auf die Hartkäserei. Im 17. Jahrhundert nahm die Butterproduktion aufschwung. Ackerbau in Form der Aegertenwirtschaft. Auf dem Hüttner Gebiet steht am Höhrohnen Wald nur auf den steilsten Hängen.

 

Eine Steuer, die 1646 zur Deckung der Kosten aus dem 30jährigen Krieg erhoben wurde, stiess in der Herrschaft Wädenswil auf starken Widerstand, weil die Wädenswiler nicht vor der Erhebung befragt worden waren, wozu sie auf Grund ihrer Briefe im Recht sich fühlten. Der Rat unterdrückte die Steuerrevolte blutig und strafte die führenden Personen mit äusserst harten Bussen, die eine schwere Schädigung der Wirtschaft zur Folge hatten.

 

Der Kampf um die Vormachtsstellung zwischen den katholischen Orten und den Städten Bern und Zürich, die ihrer wachsenden Stärke bewusst wenigstens ein Gleichgewicht suchten, drängte einer Auseinandersetzung entgegen. Zürich hatte in seinem Gebiet eine Militärorganisation verwirklicht, über die eine Karte im Atlas zur Geschichte des Kantons Zürich Auskunft gibt. In Wädenswil finden wir einen Hauptsammelplatz beim Schloss des Landvogts. Weiter Sammelplätze bestehen auf der Laubegg und auf dem Hirzel. Auf dem Schnabel ist eine Hochwacht eingerichtet, die mit 14 anderen Sichtverbindung hat, eine weitere Hochwacht mit acht Verbindungen ist auf dem Zimmerberg stationiert. Mögliche Einfallstrassen des Feindes sind: Sihlbrugg, Finsterseebrücke, Lölismühle (Bellen) nahe dem Hüttnersee und das Seeufer des Zürichsees. Das Schloss Wädenswil ist zur Festung ausgebaut worden, durch den Erbauer der Stadtbefestigung . Beim Sternen und auf der Bellen snd Schanzen angelegt, jedoch nur schwach besetzt.

 

Wie am 11. Februar 1656 die Katholischen 2700 Mann stark in die Herrschaft einfallen, müssen die schwachen Verteidigungskräfte weichen und den Eindringlingen das Land preisgeben. „Gar übel gehaust haben die Feinde auf dem Richterswiler- und Wädenswilerberg mit Grausamkeiten, Raub und Verwüstung. Was hilft es, dass die Zürcher, die sich unterdessen gesammelt haben den Gegner zurückwerfen und nun ihrerseits auf Schwyzer Gebiet Häuser niederbrennen? In Hütten allein sind 21 Häuser mitsamt der Kapelle niedergebrannt worden, mehr oder weniger das ganze Dörfli. Die Dokumente aus der Gemeindelade werden von den Schwyzern mitgeführt und befinden sich noch heute im Staatsarchiv Schwyz. Darunter befindet sich der Jahrzeitrodel (ein Spenderverzeichnis) von 1496 für den Bau der Kapelle St. Jakob.

 

Für die beim feindlichen Einfall geschädigten Landleute zu Hütten werden noch im selben Jahr im Kanton 5686 Taler gesteuert. Es gibt also bereits damals eine Solidarität.

 

Die wirtschaftliche Lage war schlecht. Zur oben erwähnten Schädigung der lokalen Wirtschaft durch die hohen Bussen kam die allgemeine Depression als Folge der Beendigung des 30jährigen Krieges. Armut breitet sich aus und nahm gegen Ende des Jahrhunderts immer erschreckendere Formen an. Einzelpersonen wie ganze Familien ohne Auskommen verliessen ihre Dörfer und Heimstätten, um in die, vom 30jährigen Krieg entvölkerten Landstrichen in Süddeutschland zu ziehen. Von Hütten wanderten um 1660 21 Personen nach Süddeutschland und 56 Personen nach anderen Gegenden aus (ein Viertel bis ein Drittel der Bevölkerung).

 

Dennoch war um 1668 das Gotteshaus zu Hütten nach einem Ratsbeschluss als Kirche wiederaufgebaut und erhielt zwei neue Glocken. Der Spruch auf der grösseren begann mit den Worte: „Im Umkreis, vor allen Leid und Überfahl, o Gott bewahr den Berg und Thal“.

 

Vom folgenden Jahrzehnt berichten die „Memorabilia Tigurin“ oder „Chronik der Zürcher Denkwürdigkeiten“ erfreuliches:

 

„1672 wurde dem Richter Hans Staub auf Laubegg am Richterschweiler Berg erlaubt, ein Haus zu bauen, worinnen sein Sohn Schul halten sollte, so ihme bewilligt und etwas Beysteuer getan worden, in der Meinung, dass es jederzeit ein Schulhaus bleiben soll.“

 

Ins Jahr 1700 fällt der erste privilegierte Jahrmarkt, der zu Richterswil am 15. Herbsmonat gehalten wurde. Richterswil wird damit Marktort, entsprechend seiner Bedeutung als Umschlagsplatz für Waren auf einem Ast der Gotthardroute und als Umsteigestation für Pilger nach Einsiedeln. 1704 werden bereits zwei Märkte bewilligt: Dienstag nach St. Georgii und Dienstag nach Martini.

 

Um diese Zeit weist Hütten nach dem Atlas zur Geschichte des Kantons Zürich eine bis mehrere Tavernen (Gasthäuser mit Beherbergungsrecht) auf. Wir dürfen annehmen, dass damit die „Krone“ und das „Kreuz“ gemeint sind.

 

1703 übernimmt der Pfarrer der neugegründeten Pfarrei Schönenberg die geistliche Betreuung Hüttens, die sich auf Gottesdienst und Katechisation beschränkt; Taufe, Trauung und Beerdigung finden immer noch in der Pfarrkirche statt.

 

Der erste Villmergerkrieg hatte mit der Niederlage Berns und Zürichs geendigt. Ein letztes Mal hatten die „ruchen“ Eidgenossen mit ihrer urwüchsigen Kampfweise gesiegt. Die nächste Runde, auf die von Bern und Zürich bewusst hingearbeitet wurde, sollte den Sieg der modernen, uniformentragenden Infanterie und Kavallerie bringen.

 

In Erwartung des 2. Villmergerkrieges wurden an der bedrohten Grenze wiederum starke Schanzen aufgeworfen, die in einem weiten Bogen als Vorposten den Feind hinhalten sollten. In der Gegen von Hütten sind es die Schanzen: Bellen und Kneuwis, und auf dem Hügel über dem Dörfli, die Hüttnerschanz.

 

Beträchtliche Truppen wurden auf Schloss Wädenswil zusammengezogen. Man war, im Gegensatz zu 1656 bereit und entschlossen, den Feind zu stellen und zu werfen.

 

Um 3 Uhr früh des 22. Heumonats (VII.) 1712 flammte auf dem Rossberg (Höhronen) ein Feuer auf. Die bereitstehenden Schwyzer (im Eichhölzli bei der Bellenschanze) und Zuger (Finstersee) setzte sich in Marsch.

 

Schwyzer zogen in zwei Kolonnen von je einigen hundert Mann beidseits des „Albis“ gegen das Bergli. Der dortige Zürcher Vorposten schlug Alarm. Die Bewohner des Bergli wurden auf eine kaumj zu beschreibenden Art aufs grausamste ermordet.

 

Der Vormarsch der Schwyzer galt aber der Hüttnerschanz, vor der die Besatzung ein mächtiges Feuer entfacht hatte (Gefechtsfeldbeleuchtung). Rittmeister Eschmann, der Kommandant der Zürcher Kavallerie berichtet in seiner Gefechtdarstellung:

 

„Darauf hin wollten sie geschwind die Hüter-Schantz erschnappen, oder doch wenigstens das Dörfli Hütten rein ausblundern, und daselbsten ,wie auf dem Bergli ihre cruautés ausüben – und so von Ohrt zu Ohrt continuieren – allein der Comendant in der Hüter-Schantz, Herr Major Werdmüller, ein gar tapferer Mann, empfinge sie mit Canonen Schützen dergestalten wohl, dass etlichen aus ihnen ihr hitzig Blut abgezapft, geradewegs über ein Haufen geschossen, den anderen dadurch und die unter und über sie brausende Kugeln ein Schräcken eingejagt, und der Appetit benommen worden, an diesen Ort sich weiters zu wagen.“

 

Die Falkonetten (leichte Feldgeschütze) auf der Schanze trugen bis zum Sägel und zum Bergli. Eine orangengrosse Kanonekugel wird heut noch auf dem Bergli aufbewahrt und dürfte aus einer solchen Kanone gegen die anrückenden Schwyzer abgefeuert worden sein.

 

Die Schwyzer, derart abgewiesen, marschierten Richtung Sägel und dann gegen Gschwänd, wo sie in zwei Batalionen formiert etwa eine Stunde im dortigen Tälchen sich aufhielten und mit den Zugern sprachen, die „das Otten Schänzli im Kneuwies ruiniert“ hatten.

 

Rittmeister Eschmann, der bei Aesch kampiert hatte, war unterdessen alarmiert worden. Mit vorerst nur 24 Reitern gelang es ihm durch eine Finte – er täuschte ein zweites heranrückendes Treffen vor – die feindlichen Truppen zum Weichen zu bringen. Die Schwyzer schritten zum Angriff gegen Sägel, wo Succurs (Zuzug) unter Major Mattli aus der Bellen eingetroffen war. Die Zürcher Kavallerie, durch das Nachrücken des Restes der Eschmannschen Compagnie und der Compagnie Meyer verstärkt, sprengte im Morgengrauen gegen die Schwyzer, welche alsbald Reissaus nahmen.

 

Immer noch unter dem Feuer der Hüttener-Schanz zogen sie hinunter in die Mulde des Seelis, wo sie in Deckung waren. Über den Schafrein und Blegi rundeten sie das Seelein, vereinten sich mit anderen Truppen, die weiter nördlich bei Samstagern einen Erfolg errungen hatten. Ingrimmig wurde nun die Bellenschanze berannt und in arge Bedrängnis gebracht. In dieser für die Zürcher kritischen Lage ritt wie aus blauem Himmel die Kavalkade Rittmeister Eschmanns von der überhöhten Laubegg herunter eine Attacke auf die Belagerer. Diesem Ansturm hielten die Schwyzer trotz eines Pfarrers, der sie anfeuerte nicht stand und flohen Hals über Kopf. Erst bei der Lölismühle setzte das ungünstige Gelände der Verfolgung ein Ende. Die Schwyzer stellte sich hinter dem dortigen Grünhag bereit. Bis nach sieben Uhr hatten die Kämpfe gedauert.

 

Die Zürcher waren dank ihrer guten Verteidigungsanlagen und ihrer einsatzkräftigen Kavallerie Sieger geblieben, auch wenn die Schanzen bei Kneuwis und in der Weberrüti (Samstagern) im frühen Morgen gefallen waren.