Der Zweite Villmergerkrieg von 1712, auch „Toggenburger“ oder „Zwölferkrieg“ genannt

Nach Heinrich Peter "Geschichte der Gemeinde Richterswil"

Der letzte Konfessionskrieg in der Eidgenossenschaft

Die Reformierten waren die mächtigere Partei in der Eidgenossenschaft, sie hatten aber durch unglückliche Umstände den Zweiten Kappelerkrieg (1531) und den Ersten Villmergerkrieg (1656) verloren. Darum blieb in den Gemeinen Herrschaften und an der Tagsatzung die evangelische Konfession stark benachteiligt. Zürich und Bern hofften nun, durch einen neuen Krieg endlich Gleichberechtigung beider Konfessionen zu erreichen. Der Anlass zu einem Krieg ergab sich aus einem Konflikt des Abtes von St. Gallen mit seinen mehrheitlich reformierten Untertanen im Toggenburg. Der Abt verlangte von ihnen Frondienst zum Bau einer Strasse über den Ricken. Diese hätte vor allem eine gute Verbindung mit Schwyz herstellen sollen; auf dieser Strasse hätten dann für den Abt jederzeit Schwyzer Truppen zur Unterwerfung der auflüpfischen Toggenburger heranmarschieren können. Begreiflich, dass die Toggenburger diese Frondienste verweigerten! Zürich und Bern unterstützten die Toggenburger, die katholischen Orte den Abt. Am 22. April 1712 brach der Krieg aus. Starke Zürcher Truppen, von bernischen Detachementen unterstützt, marschierten in die Ostschweiz, nahmen Wil ein, besetzten den Thurgau und das Kloster St. Gallen, wo sie Kirchenglocken, wertvolle Bestände der Bibliothek und viel Wein als Kriegsbeute wegführten. Die Berner, unterstützt von den Zürchern, zogen ins Freiamt, eroberten Mellingen und nach einer harten "Staudenschlacht" gegen 4000 Luzerner auch Bremgarten. Dann nahmen sie Baden ein, dessen Festungsanlagen geschleift wurden. Nach diesen Siegen der Reformierten fanden seit Anfang Juni in Aarau Friedensverhandlungen statt, am 18. Juli unterzeichneten Uri und Luzern einen Friedensvertrag, der sie unter anderem verpflichtete, auf die Herrschaft über das untere Freiamt zu verzichten. Die anderen katholischen Orte zögerten noch. So herrschte seit Anfang Juni zwar eine gespannte Lage, aber tatsächlich Waffenruhe.

Der Bau der Schanzen an unserer Grenze

 Von Anfang des Krieges an waren die Truppen des Wädenswiler Quartiers zur Verteidigung der hiesigen Grenzen eingesetzt. Sie erhielten auch wesentliche Verstärkung aus anderen Teilen des Kantons. Bei Kriegsausbruch kam es zu einigen unbedeutenden Scharmützeln an der Grenze, doch konnten sich die Schwyzer und ihre Verbündeten nicht für einen energischen Angriff auf das Zürchergebiet einigen. Die Richterswiler Soldaten leisteten ihren Dienst also in der engsten Heimat, und zwar zuerst hauptsächlich in Form von Schanzarbeit. Die militärische Führung in Zürich hatte nämlich aus den schlechten Erfahrungen von 1656 etwas gelernt und liess sofort starke Grenzbefestigungen erbauen. Vom See bis zum "Sternen" war das Mülitobel ein unüberwindliches Hindernis für jeden Angreifer. An seinem oberen Ende wurde die Sternen Schanz erbaut, ein von starken Erdwällen umschlossenes Viereck von 210 auf 180 Fuss (ca. 63 auf 54 m), das für eine starke Besatzung eine gute Abwehrstellung bot. Aussen wurde es von einem starken Holzzaun umschlossen. Als Eingang wurde ein merkwürdig hohes Holzportal angebracht. Die Erdwälle der Sternen Schanz sind heute noch fast vollständig erhalten. Im Gegensatz dazu ist das kleinere Eich Schänzli, ein von Erdwällen umgebenes Oval, zirka 60 m nördlich des heutigen Bahnhofes Samstagern, mittlerweile vollständig verschwunden. Als nächste Festungswerke wurden die Brustwehr Weberrüti und die Bellen Schanz beim Hüttnersee erbaut, auf dem hinteren der beiden Hügel, wo schon 1656 auf dem vorderen Hügel ein befestigter Posten gewesen war. Sie erhielt die Form eines Fünfecks und sah ähnlich aus wie ein Schiff, dessen Spitze gegen die Feinde gerichtet ist. Vor den Wällen wurde ein Schützengraben angelegt, sodass eine doppelte Feuerlinie gegen die Angreifer wirksam werden konnte, die Schützen im Graben und über ihnen diejenigen hinter den Wällen. Deshalb hatte man hier vor dem Graben keine Palisade angelegt. In der Bellen Schanz wurden auch vier Kanonen in Stellung gebracht. Im Innern erbaute man eine kleine Holzhütte als Wetterschutz für die Besatzung und für die Munitionsvorräte. In etwas zu grosser Distanz von der Bellen Schanz wurde die Hüttner Schanz erbaut, direkt über dem Dorf Hütten auf dem Grat zwischen der Sihl und dem Dorf. Dieses etwas kleinere Viereck von zirka 36 auf 36 Meter wurde mit zwei Kanonen bestückt. Der grosse Nachteil dieser Stellung war die zu grosse Entfernung von der Bellen Schanz. Demgegenüber hatte sie drei wesentliche Vorteile: Sie konnte das ganze Dorf Hütten schützen, sie thronte über der verbarrikadierten Hüttnerbrücke und sie konnte auch Feinde abwehren, die eventuell aus dem Kanton Zug, von der Finsterseebrücke her, angreifen sollten. Den Bau der Hüttner Schanz leitete der Genie-Major Johann Conrad Werdmüller, der dann in den Kämpfen von 22. Juli auch das Kommando über diese Schanz führte. Als äusserster Posten der ersten Grenzlinie wurde auf dem zürcherischen Ufer der Sihl, über der Finsterseebrücke im unteren Kneus, ein kleines Schanzwerk angelegt. Für den Fall, dass diese vorderste Verteidigungslinie durchbrochen werden sollte, war eine zweite Linie gerüstet, deren wichtigste Stützpunkte das 1655 und 1665 stärker befestigte Schloss Wädenswil und der festungsartig ummauerte Kirchhof Schönenberg waren. Diese Festungsbauten wurden zum grossen Teil im Mai 1712 fertiggestellt . Als sie fertig waren, schien das Ende des Krieges nahe. Es begannen die genannten Friedensunterhandlungen in Aarau. Auch kam die Zeit der Ernte, und die Soldaten, meist Bauern, begehrten nach Hause. Zürich entliess tatsächlich zahlreiche Mannschaften, im Vertrauen auf den bevorstehenden Frieden. Die Schanzen blieben daher nur noch schwach besetzt, hauptsächlich von hiesigen Leuten. Am Anfang des Krieges herrschten übrigens an unserer Grenze noch Zustände, die an die Kappeler Milchsuppe erinnern. Ein schwyzerischer Landschreiber berichtet, dass "die Richtenschwiler und Wädenschwiler von guter Nachbarschaft wegen dem Schwyzervolke, so auf den Posten standen, Heu und alles was sie haben, anerboten". Sie hätten auch die Schwyzer eingeladen, den Markt zu Zürich zu besuchen. Immerhin rüstete sich auch Schwyz zur Abwehr, indem es gegenüber der zürcherischen Schanzenlinie die Itlimoos Schanz erbaute, im Schussfeld von Bellen Schanz und Eich Schanz. Am 20. Juli brach der Krieg wieder aus: 4000 katholische Freischärler, von der Geistlichkeit fanatisiert und zum Kampf angespornt, überfielen bei Sins im Reusstal einen bernischen Vorposten von 1200 Mann und brachten ihn nach hartem Kampf zum Weichen. Nun galt es also, in unseren Schanzen wieder besonders aufmerksam zu wachen.

Die Ereignisse bei Hütten, Vordringen des Feindes bis zum Segel

 In der Nacht auf den 22. Juli hörten die Zürcher Wachten das Singen einer Litanei von vielen Männerstimmen. Als es von der Kirche Schönenberg drei Uhr schlug, sahen sie auf dem Rossberg ein Feuerzeichen aufleuchten, das sicher etwas zu bedeuten hatte. Kurz vor Sonnenaufgang krachte im Gehöft Bergli (östlich von Hütten) eine Gewehrsalve. Dort war ein Wachtposten von 24 Zürchern. Als diese von etwa 2300 Feinden angegriffen wurden, gaben sie einen Warnschuss ab und zogen sich dann eilig in die Hüttner Schanz zurück. Die Besatzung der Hüttner Schanz war durch diese Warnschüsse alarmiert und erwartete den Angriff des zahlenmässig weit überlegenen Feindes in voller Kampfbereitschaft. Doch die Schwyzer griffen nicht sofort an. Zuerst wurden im Bergli acht wehrlose Personen, die nicht rechtzeitig hatten fliehen können, misshandelt und grausam ermordet. Dann wollten die Schwyzer auf eine Zuger Truppe warten, welche durch das Feuersignal auf dem Rossberg verständigt, die Hüttner Schanz gleichzeitig von Westen angreifen sollte. Die Zuger kamen aber nicht, und die 2300 Schwyzer setzten allein zum Angriff an. Vor der Hüttner Schanz gerieten sie jedoch in ein starkes Kanonen- und Gewehrfeuer, dass sie zurückwichen. Sie konnten aber oben um den Hüttnersee herum bis zum Segel ins Zürchergebiet eindringen. Damit hatten sie die erste Verteidigungslinie durchbrochen, den zu grossen Abstand zwischen Hüttner Schanz und Bellen Schanz ausnützend. Beim Segel setzte sich die Hauptmacht fest, um den Anmarsch der Zuger abzuwarten. Nur drei Kompanien wurden zum Angriff auf den befestigten Kirchhof Schönenberg vorgeschickt.

Abwehr des Angriffs auf Schönenberg

Im Kirchhof Schönenberg befanden sich zwei durch Entlassungen geschwächte Zürcherkompanien, die zwar zwei Kanonen hatten, aber noch nicht recht zum Gefecht gerüstet waren. Zu ihrem Glück kam rechtzeitig der mutige, angriffslustige Wädenswiler Rittmeister Eschmann mit 24 Reitern. Er erbat sich vom Kommandanten des Kirchhofs Leute zum Angriff auf die nahenden Feinde. Als dieser ihm erklärte, er könne keinen einzigen Mann entbehren, da stürmte Eschmann halt mit nur 22 Reitern keck auf den Feind los; zwei seiner Reiter mussten auf einer Geländekante stehen bleiben, rufen und mit den Hüten winken, die (in Wirklichkeit gar nicht vorhandene) Hauptmacht solle eiligst kommen. Dadurch wurden die Schwyzer getäuscht; sie glaubten, es komme mindestens noch eine ganze Schwadron Reiter, und darum flohen sie rasch zum Segel zurück. Schönenberg war also durch diese gelungene Kriegslist und das mutige Draufgängertum des Rittmeisters Eschmann und seiner Reiter gerettet.

Das Gefecht beim Segel

Nun erschien noch Major Mattli mit 140 Mann auf dem Platze. Eschmann und Mattli beschlossen, gemeinsam die Schwyzer Hauptmacht beim Segel anzugreifen. Das gab nun einen äusserst harten Kampf; Eschmanns Pferd wurde getötet, Major Mattli selbst verwundet. Die Zürcher gerieten in arge Bedrängnis. Da kamen ihnen im rechten Augenblick die Reiterkompanie des Rittmeisters Meyer und der Rest von Eschmanns Kompanie, unter seinem Sohne, zu Hilfe. Als die Schwyzer diese Reiterscharen heranstürmen sahen, gaben sie den Kampf auf und zogen sich wieder um den Hüttnersee herum zurück.

Die Kämpfe um die Bellen Schanz

Auf ihrem Rückzug sahen sie, wie die Bellen Schanz bereits von allen Seiten angegriffen wurde. Von der gegenüberliegenden Itlimoos Schanz aus, von der Blegi und von der Weberrüti her. Sofort schlossen sie sich den bereits übermächtigen Angreifern an. Dadurch wurde die Lage der Zürcher in der Bellen Schanz äusserst kritisch. Aber dank der doppelten Feuerlinie und der Tapferkeit der Besatzung konnten drei Anstürme abgewehrt werden. Den Pfarrer von Galgenen, der den Schwyzern zur Ermutigung ein Kruzifix vorantrug, traf eine tödliche Kugel. Es ist aber sehr fraglich, ob die Schanz auch noch einem vierten Ansturm hätte standhalten können, denn wir dürfen die Wirksamkeit der doppelten Feuerlinie nicht überschätzen. Weil die Treffsicherheit der damaligen Gewehre sehr gering war, wurde, um die Wirksamkeit des Feuers zu erhöhen, immer auf Kommando in Salven geschossen. Das Nachladen der damaligen Luntenschlossgewehre war dann eine sehr schwierige Sache. Darum dauerte es von einer Salve zur anderen etwa drei Minuten, bei den eben erst aufkommenden Steinschlossgewehren noch etwa anderthalb Minuten. Zum Glück wurde den tapferen Verteidigern der Bellen ein vierter Angriff erspart. Über den Laubeggrain sprengten die Reiterkompanien der Rittmeister Eschmann und Meyer heran, mit ihnen noch eine Kompanie rot uniformierter Reiter aus dem Kyburger Quartier. Diese schlugen im ersten Ansturm die ganze schwyzerische Angriffsmacht in die Flucht. Damit waren um elf Uhr mittags die Kampfhandlungen zu Ende. Vor der Bellen Schanz lagen 29 gefallene Schwyzer, die Zürcher hatten im ganzen elf Mann verloren.

Das Ende des Krieges

Drei Tage später fand bei Villmergen die grosse Entscheidungsschlacht statt. 8000 Berner besiegten in sehr harter Schlacht die Hauptmacht der Innern Orte von 10000 Mann. Zwei Tage nach den Kämpfen fand in Richterswil ein grosses Begräbnis statt. Der Pfarrer (Joh. Felix Vogler) trug darüber ins Kirchenbuch ein: "Den 24. Heumonat wurden begraben, die in dem Einfall auf dem Bergli, ellendiglich massacrierten Personen." Dann werden acht Leute mit Namen und Personalien aufgeführt, Frauen und alte Männer. Dazu schreibt der Pfarrer: "Diese alle waren fromme und ehrliche Leuth, theils gar alt oder sonst schwach und theils ellend und ganz unbewehrt, wurden aber einmahls überfallen, und übel misshandlet, so dass hernach, als die Feind zurückweichen und fliehen müssten, Einiche aus ihnen selber bekennet: sie haben sich an diesen unschuldigen alten und ellenden Leuthen grad anfangs im Einfahl, wider alle Gött- und menschlichen Rechte also versündiget, dass sie darob geschlagen (besiegt) werden und alles verliehren."