Geschichtlicher Hintergrund des Hüttner Kappel-Rodels

Vor der Pfarrei Richterswil
Das Bistum Konstanz war das grösste Bistum auf dem Gebiet der heutigen Schweiz. Es reichte bis an die Aare und an den Gotthard und war eingeteilt in 10 Archidiakonate, wovon eines der Zürichgau war. Ursprünglich gab es für das ganze Gebiet des oberen Zürichsees (mit Richterswil und Wädenswil) nur eine Pfarrei Ufenau (741 erstmals erwähnt). Im Hochmittelalter, spätestens im 13. Jahrhundert, trennten sich mehrere Pfarreien  ab. So ist auch 1265 erstmals in Richterswil ein Pfarrer erwähnt (Ulrichus Plebanus de Richtiswile). Diese Kirche war wie auch diejenige von Wädenswil eine sogenannte Eigenkirche. Das heisst, die Kirchen wurden gegründet und mit Gütern ausgestattet durch die Freiherren der Herrschaft Wädenswil. Die Herrschaft umfasste auch die heutigen Richterswil, Schönenberg, Hütten Spitzen[Hirzel] und Uetikon. 1287 verkaufte der letzte Freiherr die Herrschaft an die Johanniter. In der Verkaufsurkunde wurde das sogenannte Patronatsrecht mit eingeschlossen. Dieses erlaubt dem Bischof, einen Pfarrer zur Wahl zu präsentieren. Es verpflichtet aber auch, diesen zu besolden.

In der Pfarrei Richterswil
Die mittelalterliche Pfarrei Richterswil erstreckte sich zwischen Bächerbach und Reidbach vom Zürichsee bis hinauf zur Sparrenweid an der Hohen Rohne. Sie schloss damit in ihrem südlichen Bereich auch die Höfe im heutigen Gemeindegebiet von Hütten ein („ze dien Hütten“ 1270 erstmals erwähnt). Der Zehntenbezirk der Kirche St. Martin in Richterswil, der in fünf Abteilungen aufgegliedert war, umfasst unter anderem den Hüttenzehnten und den Segelzehnten. Die Bewohner des Richterswiler Berges, wie die Gegend des heutigen Hütten damals genannt wurde, waren nach Richterswil kirchgenössig. Jahraus, jahrein stiegen die Leute auf langem und oft beschwerlichem Weg Sonntag für Sonntag an den Zürichsee hinunter. Sie brachten ihre Kinder nach Richterswil zur Taufe und die Toten zur letzten Ruhe. Im Winter war der Kirchengang nach Richterswil besonders mühsam. Hören wir, was Pfarrer Hans Jakob Bürkli von Richterswil noch um die Mitte des 17. Jahrhunderts zu berichten wusste: „Die Hüttener kommen bei Wind und Wetter den zweistündigen Weg in die Kirche Richterswil, bleich und blau, schlotternd und müssen, wenn sie genugsam gefroren haben, wieder den gleichen weiten und beschwerlichen Weg hungrig zurück, wobei es oft später Abend wird.“

Der Bau der Jakobs-Kapelle, 1400 – 1496
Bei der grossen Ausdehnung der Pfarrei Richterswil war es begreiflich, dass die Kirchengenossen am Fuss der Hohen Rohne schon früh mindestens eine eigene Kapelle wünschten, was sich mit dem Wachstum der Bevölkerung im 15. Jahrhundert noch verstärkte. Um das Vorhaben einer eigenen Kapelle verwirklichen zu können, brauchte es nebst dem örtlichen Engagement der Bevölkerung für Fronarbeit und Finanzierung auch die Zustimmung der Politik und der Kirche. Gemäss Kappel Rodel Hütten waren dies die Johanniter und der Konstanzer Weihbischof Zehender, der im Jahre 1496 die Weihe der neuen Kapelle in Hütten vollzog. Diese stand in der Kapellenmatte, ungefähr an der Stelle der heutigen reformierten Kirche. Was für Gottesdienste in der Kapelle Hütten veranstaltet worden sind, ist nicht bekannt. Wahrscheinlich wurde hier, wie in Wollerau, wöchentlich eine Messe gelesen. Der Tag der Kapellweihe, der Sonntag vor Margarethen (15. Juli), wurde zum Kirchweihdatum. Für Taufen und Beerdigungen hatte man sich weiterhin nach Richterswil zu begeben. Johanniterbruder Gallus Studli war damals Pfarrer von Richterswil
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Der Kapellrodel – ein Jahrzeitdokument
Wie viele Spenden dazu aus der Lokalbevölkerung notwendig waren, bezeugt der Hüttner Kapellrodel.  Er zeugt damit auch vom Willen einer sich formenden Gemeinschaft, die sich mit Ihrer Kapelle einen eigenen Ort der Zusammenkunft schafft. In der Tradition der sogenannten Jahrzeitbücher verpflichten kalendarisch eingetragene Spenden die Kirche in der Messe am jeweiligen Todestag für die Seele des verstorbenen Spenders zu beten. Der Hüttner Kapellrodel ist ein Jahrzeitdokument für einen Tag. Für alle Spender und der mit ihnen erwähnten Verwandten wurde am Montag nach Kirchweihe (Kirchweihe jeweils Sonntag vor Margreten – damals 15. Juli) gebetet, in einer gesungenen, festlichen Messe „mit so vielen Priestern wie möglich. „Uff sölichs hand angesechen gemein capellgnosen ein ewig jartzit uff den nechsten mentag nach der kylchwyche mit so vyl preister als sy überkömen mögent.“ 

Das Spendenverzeichnis des Kapellrodels nennt uns viele (noch hiesige) Familiennamen…
Hiestand, Höffliger , Wymann (Winmannin), Isler, Niesly , Eggenberger, Tanner, Eschmann, Ochsner,  Roggenmoser, Trinkler, Linsi, Rusterholz , Schmid, Marty, Luntsch, Hotz, Keller, Strickler, Welti, Kannengiesser, Tüggeli, Herrmann, Gotschalch

… und Höfe:  Laubegg,  Seehalden,  Külpen und Chülpers Wys, Ottensegel , Bärghüsere (heute Bergli) , Lölismüli (heute Neumühle), Mereschwand (heute Oerischwand)

Diese überlieferten Hofnamen verdanken wir dem Umstand, dass jährliche „Zins-Spenden“ (Gült) als Sicherheit immer auf einem Hof (bzw. auf dessen Einkünften) lasteten.
Geschrieben wurde der Hüttner Kapellrodel von Heinrich Vinsler, Pfarrer zu Stäfa und Urkundenschreiber, von dem auch das Jahrzeitbuch Richterswil 1496-1502 stammt.


Reformation

Die Reformation begann in der Stadt Zürich ca. ab 1517. 1523 bekannt sich der Richterswiler Leutpriester Gregor Lüthi zur Reformation Huldrych Zwinglis. Seinem Entschluss folgte sechs Jahre später die Mehrzahl der Kirchengenossen. Am 12. Mai erschienen Hans Wirz, der Verwalter der Johanniterkomturei Wädenswil, und Heinrich Eschmann als Abgeordneter der Richterswiler vor Bürgermeister und Rat der Stadt Zürich. Sie meldeten, die Kirchgenossen hätten in eine Gemeindeversammlung beschlossen, zum neuen, reformierten Glauben überzutreten. In Richterswil seien die Heiligenfiguren und Bilder bereits beseitigt worden. Die  St. Jakobs-Kapelle diente noch beiden Konfessionen und die drei Altäre noch bis zum Jahre 1604 (verhüllt) stehen. Dann wurden sie abgebrochen, eine Kanzel erstellt und die Kniebänke durch Sitzbänke ersetzt. Diese verzögerte Reformation „zu den Hütten“ kann erklärt werden mit der lediglich 20 Jahre vor der Reformation eigens erbauten Kapelle. Viele Nachkommen gedachten noch alljährlich Ihrer verstorbene Vorfahren, den Spendern und Fronarbeitern.

Das nützliche Papier des Rodels
Als der Jahrzeitrodel 1635 "Hans Heirech Danner under Loubeg ann dem Richtischwilerberg" (heute Seeli) übergeben wurde (wie auf dem Umschlagblatt festgehalten), hatte er den liturgischen und monetären Zweck längst verloren. Zuvor hatte wohl der Pfarrer die leeren Seiten des Rodels für private Zwecke benutzt (Papier war teuer). Vielleicht war er es, der dem Hans Heinrich die erhebliche Summe von 77 Pfund geliehen und verschrieben hatte. Als diese Schuld getilgt war, so ein denkbarer Verlauf, gab der Gläubiger dem entschuldeten Danner mit dem gelöschten Kreditbeleg auch den alten Rodel dazu.

Erster Villmergerkrieg
Am 11. Februar 1656 sind die katholischen Innerschwyzer brandschatzend, raubend und mordend über das schutzlose Hütten hergefallen. Sie steckten auch die Kapelle zu Hütten in Brand. Nur die beiden Glocken konnten aus den Brandschutt geborgen und nach Richterswil ins Pfarrhaus verbracht werden. Dies im Zuge eines Einfalls über die zücherisch/schwyzerische Grenze als Vergeltung für die siebenwöchige Belagerung und Verwüstung von Rapperswil und Umgebung 1655/56 durch die zürcherischen Truppen unter dem berüchtigten General Hans Rudolf Werdmüller. Siehe dazu…[geplanter Link auf Rapperswiler Journal]

Bei diesem Kriegszug der Schwyzer ist dem Kaspar Abyberg, damals Landshauptmann, der Jahrzeitrodel der Jakobskapelle Hütten in die Hände gefallen. Er raubte ihn im Haus des Hans Heinrich Tanner (s.o.). Bei einer Plünderung war üblich, auch gezielt Dokumente zu stehlen, weil darunter verwertbare Schuldbeweise sein konnten.

Neubau der Kapelle
Bis Hütten wieder ein eigenes Gotteshaus erhielt, verstrichen mehr als zwölf Jahre, während welcher sich die Einwohner wider nach Richterswil zur Predigt begeben mussten. Zuerst fehlte es den Leuten im kriegsverwüsteten Gebiet an Geld, dann erregte die Platzfrage die Gemüter.
Wegen der Standortwahl für den Neubau der Kapelle kam es zu zähen Verhandlungen zwischen dem Landvogt von Wädenswil, den Gemeindeältesten von Hütten und den Regierungen von Zürich und Schwyz. Der Zürcher Rat plante, die neue Kapelle auf Bellen zu erstellen und mit einer Ringmauer zu versehen. Das Gotteshaus sollte im Notfall auch als Festung dienen können. Die Obrigkeit von Schwyz verwahrte sich energisch gegen ein solches Ansinnen. Auch die Hüttner waren von der Idee nicht begeistert. Der Zürcher Rat beschloss darum, am alten Ort bauen zu lassen. Und nach Schwyz berichtete er, Zürich könne im eigenen Land Kirchen bauen, ohne die Obrigkeit von Schwyz um Erlaubnis zu fragen, Den Gedanken, ein befestigtes Gotteshaus zu errichten, vergass Zürich indessen nicht: 1703 wurde die neue Kirche Schönenberg mit eine Wehrmauer umgeben.
Gemäss Beschluss des Züricher Rates vom 25. März 1668 wurde das kirchliche Gebäude für die Bewohner von Hütten am bisherigen Standort neu aufgebaut und mit einem Dachreiter für die zwei Glocken versehen. In der grösseren der beiden Glocken steht der Sinnsprich: „Im Umkreis, vor allem Leid und Überfahl, o Gott, bewahr den Berg und Tal. 1667 Hr. Jacob Grob, Pfarer und Joh. Georg Werdmüller, Landvogt“. Diese Jahrzahl 1667 scheint ein Hinweis darauf, dass schon vor dem Ratsbeschluss 1668 mit dem Neubau der Kapelle begonnen wurde. Um die Baukosten zu decken, erhob man zu Stadt und Land eine Liebessteuer; die Zürcher Obrigkeit schenkte die Dachziegel. Verschiedene Darstellungen aus dem 17. bis 19. Jahrhundert zeigen die Kapelle Hütten als kleineres, eingeschossiges Gebäude unter Walmdach mit später eingebauter Schleppgaube. Auf einer Schmal- und auf einer Längsseite führte je unter einem Vordach ein Rundbogenportal ins Innere. Der Dachreiter unter hohem Spitzhelm war mit einer Uhr versehen.

Staatsarchiv Schwyz
Über Umwege haben wir erfahren, dass der 1656 entwendete Kapellrodel im Staatsarchiv Schwyz aufbewahrt wird. Eine unvollständige Fotokopie-Version ca. aus 1980 diente den ersten Transkriptionsschritten. Unser Ersuchen um eine neue Kopie, hatte das Staatsarchiv Schwyz veranlasst, die ohnehin geplante Restaurierung vorzuziehen, worauf wir eine digitale Kopie erstehen konnten. Dies unterstützte die laufenden und akribischen Transkriptionsarbeiten und belegte auch im Vergleich mit der alten Fotokopie den fortschreitenden Zerfall.